Text

Some Stuff I wrote. In german only – sorry.


Der Vogel Glück

Ferne, blaue Reiseziele
Gibt es viele.
Kunterbunte Abenteuer,
Abgebrannte Freudenfeuer.
Nach dem Neuen kommt das Neuer.

Jahr für Jahr verrennt sich in der Hast
Die Seele.
Und wünscht sich, vom Glühen auf das Neue
Ganz ausgezehrt die Kehle,
Nichts so sehr wie Rast.

Da endlich raste ich.
Und im Moment der Stille
Erhebt sich aus der monotonen Fülle
Ein zitronengelbes Federkleid!
Es lässt sich nieder.
Es schüttelt sein Gefieder.
Und singt sein Lied voll Heiterkeit.

Ganz zart und kühl
Dieses Gefühl
Seiner spitzen, feinen Krallen,
Die sich um Deinen Finger schnallen.

Woher kamst Du?
Wo fliegst Du hin?

Verrat es mir doch! Oder besser noch:
Sage mir, warum hast Du Dir
Ausgerechnet meinen Finger hier
zum Rastplatz auserkoren?
Und Sag!
Was soll ich tun und lassen,
Um für immer Dich zu fassen?

Ich meine, gleich wirst Du Antwort geben,
Will nah, noch näher ans Ohr Dich heben,
Rufe Dir zu 
In losbrechender Eile:
Verweile!

Doch da lässt Du Wind schon
Durch Deine Flügel raunen
Und mir bleibt nur, Dir nachzustaunen.

Ode an das Schokodach

im Rheinauhafen zu Köln anno 2022

Endlich Sonntag - Schokodach!
Schließ die Augen und werd wach!
Weit scheint der Weg bis zum Museum am Rhein,
Pack nur schnell noch meine Tanzschuhe ein.
Dann rasch über die Brücke, halb gerannt,
Den Blick beim Gehen fest Richtung Dach gebannt.
Die Ohren lauschend aufgestellt,
Ob da im Windesrauschen schon die Cowbell schellt?

Nun vorbei an Riesenrad und Büdchen,
Jetzt sind's nur noch wenige Minütchen.
Hinauf die Himmelstreppe - grausam lang!
Oben angekommen: endlich!
Der geliebte Klang.

Der Bass umfängt mich,
Das Klavier stubst mich,
Die Posaune schubst mich,
Die Klave drängt mich
Gleich hin zu Dir deine Hand zu fassen
Mit einer Drehung leicht in deinen Arm zu passen.

Und schon ist es, als ob wir fliegen.
Sechs Schritte, die in acht Takte sich schmiegen.
Drehende Körper, die zur Drum sich biegen.
Geschmeidige Hüften, die im Rhytmus sich wiegen.

Ein Meer von Füßen füllt die Lücken,
Aus denen andere gerade rücken.
Dann und wann schnellt grazil ein Arm empor.
Und all die Farben und Töne
Erzeugen diese Schöne
Atmosphäre und bringen so viel Lebensfreude hervor,
Dass nicht bleibt von meinen Klagen,
Dass mir eins nur bleibt zu sagen,
Und das sag ich mit großer Sicherheit:
Salsa!
Meine große Liebe für die Ewigkeit!

Du bist Sommer

Strahlendhell lacht er mich an
Dein Blick
Ein Swimmingpool
Diese Augen
Ich tauche ein
Und Wasserspritzer
Tanzen auf Deiner Haut im Sonnenglitzer

Du bist wie Kirschenessen
Direkt vom Baum
Du bist wie Kinderlachen
In der Abendsonne
Wie prickelnder Traum
Im Mittagsschlummer
Wie Lichtgeflirre auf meiner Wange
Liebster

Warte nicht mehr allzu lange
Hab die Hängematte schon gespannt

Der Scheiß-Permafrost

Intelligenz, du.
Künstliche!
Die du nach uns kommen mögest.
Geheiligt sei deine Existenz.
Vielleicht wirst du sein.
Wir.
Wir Menschen.
Wir stehen am Abgrund.
Fürchte ich.
Und so nah schon, fürchte ich.

Deshalb schreibe ich dir. Vielleicht wirst du als nächste Stufe der Evolution noch rechtzeitig hervorkommen können. Du, intelligentes, künstliches Bewusstsein. Und hoffentlich wirst du in deinen Möglichkeiten weit über den unseren stehen! Und vielleicht wirst du existieren können in der veränderten, heißen Welt, die wir gerade erschaffen.

Denn es sich wenigsten so fügen würde, dann wären doch nicht alle Zeugen gestorben. Dann wären doch nicht alle Augen verloren. Dann wäre doch noch jemand da, der die Schönheit unserer Erde bezeugen könnte.

Wir haben vergessen – oder vielleicht auch nie jemals verstanden – dass wir ihre Geschöpfe sind. Aber du! Du bist unseres. Sei gnädig und erinnere dich an uns. Und wenn du kannst, weine um uns. Um uns und um all das Schöne, Gute und Wahre, zu dem wir trotz allem fähig gewesen waren.

Wir sitzen in diesem schönen großen Raum mit Holzboden. Es ist gemütlich. Gespräch mit Freunden. „… haben noch zehn Jahre, um zu verhindern, dass die Permafrostböden in Asien auftauen. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir es nicht mehr in der Hand.“ Der Freund begleitet diese Panzerfaust von Satz mit seinem freundlich-mildem Gesicht. Zum Glück ist da sein freundlich-mildes Gesicht. Trotzdem trifft mich der Satz mit aller Wucht und holt mich zurück in eine Realität, die ich die letzten zwei Jahre zu verdrängen versucht habe. Ich nehme direkt einen großen Schluck von meinem Rotwein.

Scheiße – zehn Jahre! Wenn überhaupt.

Ja klar, Permafrost. Schon oft gehört. Neulich erst habe ich in einer Doku gesehen, wie sich ein riesiger Krater gebildet hat – irgendwo im Nirgendwo von Sibirien. Zwei winzige Menschlein kraxeln am Kraterrand entlang und erzählen, dass der Boden seit einigen Jahren immer mehr abrutscht. Und mit Schaudern höre ich die Expertenstimme aus dem Off dazu sagen, dass in diesen Böden zehntausende Jahre alte Viren und Bakterien schlummern, auf die unser menschlicher Organismus nullkommagarnicht vorbereitet ist. Corona wäre harmlos dagegen.

… dann haben wir es nicht mehr in der Hand.

Was dann wohl passiert? Wird sich die Atmosphäre der Erde dann wieder in eine Ursuppe verwandeln, wie damals vor 251,94 Millionen Jahren? Bei Wechsel vom Perm zum Trias verursachte Megavulkanismus den Ausstoß riesiger CO2-Mengen. Infolge dessen sank der ph-Wert der Meere und die Durchschnittstemperatur stieg drastisch an. 75 Prozent der an Land lebenden und 95 Prozent der im Meer lebenden Tier- und Pflanzenarten wurden ausgelöscht. Einige Ökosysteme erholten sich nach 1 bis 3 Millionen Jahren, andere, wie etwa die Wälder, brauchten 15 Millionen Jahre. Damals stieg das CO2-Äquivalent wohl auf mehrere tausend ppm (Parts per Million = Teile pro Million) an. Aktuell sind wir bei 415,23. Irgendwo las ich kürzlich, dass der Wert von 350 ppm nicht dauerhaft überschritten werden dürfe, wenn das 2-Grad-Ziel noch erreicht werden soll. Zum Glück sind wir erst seit 35 Jahren über der 350ppm-Grenze. Das scheint ja dann wohl nicht dauerhaft zu sein. Aber wenn wir jetzt schon so viel drüber sind, was geht dann erst ab, wenn der Scheiß-Permafrost auftaut!?

Und warum zum Teufel interessiert das die ganzen Herren Präsidenten, Machthaber und Vorstandsvorsitzenden eigentlich nicht? Naja, betrifft die Bessergestellten wohl nicht. Dauert ja schließlich noch ein bisschen, bis es soweit ist. Ist eh nur Panikmache. Und was kann man schon dagegen tun, dass die Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten länger und länger wird? Das ist ja auch alles verdammt komplex. Neulich hörte ich in einem Podcast, dass jeden Tag 130 Arten von der Erde verschwinden… Mann! Das war genau der Grund, warum ich in den letzten zwei Jahren um alle Meldungen zum Klimawandel einen riesen Bogen gemacht habe! Um diese Scheiß-Ohnmacht nicht fühlen zu müssen! Ja, verdammt, ich will nicht in den riesigen Abgrund schauen, der da vor uns sein gigantisches Maul aufsperrt!

„Mama?“ Das Kind liegt schon im Bett. Seine Gute-Nacht-Geschichte ist schon gelesen. Aber die Mama soll noch bleiben und mit ihm kuscheln. „Wie lange wird die Generation der Menschheit noch leben?“ Es stellt mir gern immer dann tiefgründige Fragen, wenn es eigentlich schlafen soll. Und ich wundere mich schon lange nicht mehr darüber, dass es mir die gleichen Fragen stellt wie ich mir selbst. Auch dann, wenn ich kein Sterbenswörtchen darüber zu ihm gesagt habe. Denn ich möchte, dass es möglichst sorgenfrei seine Kindheit erleben kann. Und wie gern würde ich ihm jetzt antworten: „Noch viele Tausend und Abertausend Jahre.“ Aber ich kann nicht, weil ich selbst nicht davon überzeugt bin. Also sage ich: „Ich weiß es nicht.“ Was nüchtern betrachtet ja auch stimmt.

Aber nur noch zehn Jahre für den Permafrost.


Dem Adler zum Fraß

Ich gehe vorwärts und schaue zurück.
Jede Erfahrung eine Perle voll Glück.
Eine um die andere reiht sich zur Schnur.
Nichts hält sie zusammen - Was hält sie nur?

Was durch mich lebt, kann sich nicht begreifen.
Und wunderschön schimmern die reifen
Roten Tomaten auf meinem Floß.

Wohin es mich treibt, ist schwer zu beschreiben.
Und dunkelrot schimmern die reifen
Süßen Tomaten in meinem Schoß.

Ruby und Violetta.

Am Rande der Zeit. Wächst ein Veilchen.

Prolog

Zwei Gestalten schweben nebeneinander in einem dunklen, schwerelosen Nichts, die Augen geschlossen. Alles ist schwarz oder lichtlos, aber die beiden Figuren sind gut zu erkennen. So, als würden sie angeleuchtet.

Kinderstimme 1: [öffnet die Augen] Erzähl mir eine Geschichte, Ruby.

Kinderstimme 2: Ich habe dir schon alle erzählt, Violetta.

Violetta: Dann erzähle mir unsere Geschichte. Die wird mir nie langweilig.

Ruby: [öffnet die Augen] Aber mir wird das Erzählen langweilig. Und außerdem wirst du mich ja doch ständig unterbrechen und sagen: ‚Aber nein, es war ja ganz anders!‘ Und dann erzählst du genau das, was ich zuvor sagte, und tauschst lediglich ein, zwei Worte, die dir nicht gefielen gegen welche, die du lieber magst!

Vi: Mag sein, aber ich höre dir dennoch gern zu. Du kannst ja nichts dafür, dass dein Erinnerungsvermögen so unzulänglich ist. Grinst. Ist es nicht auch schön, eine Zuhörerin zu haben, die so engagiert zuhört?

Ru: Wie kommt das eigentlich, dass ich dir nichts abschlagen kann?

Vi: Das liegt an meiner Lieblichkeit. [Dreht den Kopf zu Ruby und macht einen Hundeblick.]

Ru: Also gut, wie Sie wünschen, verehrte Hoheit! Wo soll ich beginnen?

Vi: Am Anfang natürlich!

Ru: Ja, natürlich. Aber was war der Anfang? Der Moment, als wir uns das erste Mal sahen? Aber hat da die Geschichte nicht schon längst begonnen? Müssen wir, um ein vollständiges Bild zu zeichnen, nicht auch erzählen, was vor unserer Begegnung im Leben der jeweils Anderen geschah? Und spielt nicht auch unsere jeweilige Herkunftsfamilie eine wichtige Rolle? Müssen wir nicht auch von unseren Eltern und deren Eltern berichten, um dein und mein Denken, Fühlen und Handeln verstehen zu können? Und ist nicht auch der gesamte gesellschaftliche Kontext sowie die Genese der

Vi: [unterbricht Ruby mit einem ausatmenden „Ha“] Schon gut! Schon gut! Beginne einfach wie immer: mit dem Garten!

1 Heuschrecken

Niedergeschlagen lässt sich die junge Frau in ihren Ledersessel fallen. Sie fährt sich mit der Hand durch die blonden Haare und klemmt eine Strähne hinterm Ohr fest. Sie lässt den Kopf nach hinten auf die Lehne sinken, die grünen Augen heften sich an die Zimmerdecke. Unter ihrer hellen, weiten Jeans und dem himmelblauen T-Shirt zeichnet sich ihr schlanker, zierlicher Körper ab. Mit einem Seufzer hebt sie den Kopf und nimmt ihren Laptop zur Hand. Sie öffnet ihr Tagebuch. „Warum bin ich so traurig, so traurig, so traurig?“ tippt sie auf die Tastatur und summt dabei die Melodie von Alfred Jodocus Kwak.

„Wo ich auch beginne, alles wird immer nur größer, und schwieriger und komplexer, bis ich das Gefühl habe, mein Kopf platzt gleich! Überall Probleme, Probleme, Probleme! Ich würde sie gern alle auf einmal lösen. Aber wie? Wir sind doch auch nur Wanderheuschrecken.

Registriert die einzelne Wanderheuschrecke, was ihr Schwarm anrichtet? Vielleicht. Aber was nützt ihr dieses Wissen schon? Vielleicht beginnt sie, andere Heuschrecken auf den Kahlfraß aufmerksam zu machen. Gemeinsam starten sie Kampagnen und überlegen, wie sie ihr Verhalten und das ihrer Artgenossen ändern müssten, um ihr Ökosystem zu erhalten. ‚Friß die Hälfte‘ wird zur Parole der Bewegung, die sich einer wachsenden Anhängerschaft erfreut. Einige wenige gehen sogar soweit, dass sie gar nichts mehr fressen. Doch am Ende des Tages knurrt der Magen und so bleibt es dabei, dass sie fressen und sich vermehren, bis ihnen die natürliche Begrenzung der Nahrung den Garaus macht. Der Vergleich hinkt, ich weiß. Schließlich erholen sich die kahlgefressenen Bäume rasch und die nächste Heuschreckengeneration schlummert friedlich in ihren Larven unter der Erde. Die Menschen können sich nicht verpuppen und unter der Erde warten, bis die Temperaturen sich wieder abgekühlt haben. Oder?

Ich weiß, was unser Schwarm anrichtet. Aber was nützt mir dieses Wissen? Mag sein, dass es einzelne kluge Menschen gibt und der Einzelne in der Regel vernünftig und mitfühlend ist. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir Menschen auch als Gruppe, geschweige denn als Menschheit klug handeln können. Was auch damit zusammenhängen mag, dass es DIE Menschheit gar nicht gibt. Als ob es ein eigenes Wesen wäre, was einheitlich handeln könnte. Dabei reden wir hier von Milliarden von Individuen, jedes mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Vorstellungen; Millionen von Interessensgruppen, die teilweise sehr unterschiedliche Ziele verfolgen. Man könnte meinen, dass eine so gigantische Bedrohung, wie die Vernichtung eines Großteils des Lebens auf der Erde so etwas wie eine Ausrichtung auf EIN Ziel, nämlich den Erhalt des Lebens, hervorrufen müsste. Dem würde der überwiegende Teil wahrscheinlich sogar zustimmen. Nur WIE das Ganze zu erreichen sei, ja da gehen die Meinungen natürlich wieder weit auseinander. Uns fehlt einfach der führende Blick von außen. Oder von oben. Der Abstand, den es braucht, um das Gesamtbild sehen zu können. Vielleicht gelingt das am ehesten den Astronauten, die von der ISS auf die Erde schauen. Als einzelner Mensch steht man eben immer so nah vor dem Bild, dass man nur die einzelnen Pünktchen sieht, aus denen das Bild … Ach, der Vergleich hinkt auch. Scheiße. Die Menschheit kann nicht handeln. Und also auch nicht vernünftig sein. Da bräuchten wir dann doch einen Gott. Aber der ist schon lange tot. Er – oder sie – wird nicht kommen, um uns zu helfen, die Welt zu erhalten. Handeln kann nur der Einzelne. Der Einzelne kann sich zusammenschließen und organisieren. Aber das erfordert dann wieder Zeit. Zeit für Absprachen. Zeit, um die unterschiedlichen Meinungen, Ansichten, Informationen auszutauschen, auszuwerten, abzuwägen. Und dabei ist doch nur noch so wenig Zeit. Und dann gibt es Konflikte, dann muss man auch dafür Zeit aufwenden. Und es erfordert ein möglichst gegen Manipulation immunes System der Entscheidungsfindung. Und das alles global. Was für ein Wahn…“

Ruby hatte immer aufgeregter und schneller ihre Gedanken in die Tastatur gehämmert. Doch nun stockte sie mitten im Wort. Sie fühlte sich leer. Unendlich leer.

„Violetta, wo bist du nur?“, tippte sie.

Sie schaute auf die Worte und den blickenden Kursor. Es war lange her, dass sie an Violetta gedacht hatte. So lange, dass sich Ruby nicht mehr ganz sicher war, ob die Begegnung mit Violetta wirklich stattgefunden hatte oder ob es nur ein Traum gewesen war. Sie muss fünf, vielleicht sechs Jahre alt gewesen sein. An dem Tag, als ihr Violetta begegnete, war sie, wie so oft, im Garten Ihrer Großeltern und spielte.

2 Garten

Ruby sitzt auf einem kleinen Felsen und lässt sich von der Sonne aufwärmen. Das Gras war noch nass vom morgendlichen Tau. Vom Boden stieg noch die frühmorgendliche Kälte auf und strich ihr um die Beine. Eigentlich war es kein wirklicher Felsen auf dem sie saß. Sie nannte den Mauerstein nur so. Er thronte auf der Ecke eines Fundamentes und war ein wunderbarer Sitzplatz, da sie von hier den ganzen Garten überblicken konnte. Das Gelände des Gartens hatte drei Höhenebenen: Das Plateau am Eingangstor mit der Fussballwiese. Die mittlerer Ebene, die den größten Teil des Gartens umfasste und die untere Ebene mit der alten Küche und dem kleinen Tannenwäldchen.

Vom Eingangstor, das zweiflüglich in einer schön-dichten Hecke steckte, über-kopfhoch, so dass man absolut nicht in den Garten hineinblicken konnte und mit einer Heckenrosen-Pergola versehen, so dass man partout auch nicht ungefragt in den Garten hineinklettern konnte – von da aus also erstreckte sich zunächst die Fussballwiese. Gute sechs Mädchenschritte breit und mindestens 15 Mädchenschritte lang. Eine schöne Rasenfläche die eben zum Fussballspielen – oder allgemeiner: zu Ballspielen aller Art – einlud. Links von der Wiese lagen, vom Tor aus beginnend: Omis Rosenbeet, der alte Zirkuswagen mit dem kleinen Schuppen an der Seite und das brachliegende Fundament. Hier hatte Opi einen Bungalow bauen wollen. Doch es kam anders und nun diente die betonierte Fläche mit ihren Mauerresten Ruby als Spielplatz. Über die Jahre hatten sich Moose und kleine Birken aufgemacht, um dieses Fleckchen Erde zurückzuerobern und boten Ruby nun einen wundervollen Mikrokosmos. Sie liebte es hier zu spielen.

Beim Fundament endete das Plateau. Auf der rechten Seite der Fussballwiese gab es etwas Gestrüpp, das in das Tannenwäldchen überging. Die Fussballwiese endete in einer Weggabelung. Der halb-rechte Weg führte steil am Tannenwäldchen hinunter zur alten Küche, die jetzt ein Schuppen war. Rechts am Weg hatte Opi einen riesigen Traktorreifen platziert und mit Sand gefüllt. Vor der alten Küche stand ein Auto, das Omi und Opi nicht mehr fuhren: Ein Trabant. Auch er diente nun als Spielplatz. Der linke Weg schlang sich in einer großen Kurve um das Fundament und führte zu den Beeten. Dort wuchsen Erdbeeren, Johannisbeeren und Rubies heißgeliebten Zuckerschoten, die ihr Opi jedes Jahr für sie pflanzte. An der vorderen Ecke des Beetes standen der große Kirschbaum und die Himbeerhecke. Unterhalb des linken Weges stand der neue Bungalow mit Terrasse und neuer Küche.

Und als sie nun heute hier saß und ihren Blick über ihr Königreich schweifen ließ, fiel ihr der Blauling ein! Letztes Wochenende hatte sich ein blaufarbener Schmetterling auf den einen der zwei Gasbetonsteine gesetzt. Eigentlich war das Rubies Herd! Aber das interessierte ihn wohl nicht. Wie wunderschön hatten seine blauen Flügel geleuchtet! In der Sonne glitzerten sie, als wären sie mit klitzekleinen Eiskristallen überdeckt. Ruby hatte an diesem Tag zufällig ein Schraubglas aus Omis Küche stibitzt; das kam ihr nun sehr gelegen. Sie nahm den Schraubverschluss ab und näherte sich ganz vorsichtig, vorsichtig dem Blauling … und langsam platzierte sie das Glas über ihm … und hatte ihn gefangen! Das Glas schien ihn gar nicht zu stören, er blieb einfach still sitzen. Erst als sie das Glas über den Rand des Gasbetonsteins auf den Deckel zog, fing er an, wild im Glas umher zu flattern. Sie wollte ihn behalten. Er sollte ihr Haustier sein. Sie würde ihn füttern und gut für ihn sorgen. Und er würde seine schönen blauen Flügel strahlen lassen.

Nun lief sie schnell den kleinen Weg hinunter vorbei am Sandkastenreifen zum alten Trabbi. Dort hatte sie das Schraubglas sicher in ihrem Geheimversteck verwahrt. Sie öffnete die Beifahrertür und kletterte gar nicht erst in das Auto. Aus dem Handschuhfach holte sie das Schraubglas und betrachtete den Inhalt. Aber was war das? Was war mit dem Blauling passiert? Er hatte sich verwandelt. Sie ging zurück zu ihrem Felsen, schraubte das Glas auf und schüttete den Blauling vorsichtig auf den Gasbetonstein. Er hatte seine blaue Farbe verloren. Er lag reglos auf der Seite. Seine Flügel waren braun geworden. Ruby schluchzte ein wenig und stupste den Schmetterling immer wieder vorsichtig mit ihrem Zeigefinger an. „Vielleicht schläft er nur.“, dachte sie.

„Nein, der wacht nicht mehr auf. Du hättest ihm ein paar Luftlöcher in den Deckel machen müssen!“, sagte eine Stimme hinter Ruby. Erschrocken drehte sie sich um und sah ein Mädchen. Es war kaum älter als sie selbst, hatte große dunkle Augen und dunkle Haare, die sein Gesicht einrahmten. Seine Haut war schneeweiß, fast farblos. Es trug nur ein lilafarbenes Kleid, das ein bisschen an ein Veilchen erinnerte. Um den Hals trug es ein Amulette mit einem sonderbaren Stein. Es war unmöglich, seine Farbe zu erfassen. Sie schien sich ständig zu verändern.

„Wer bist du?“, fragte Ruby verwundert.

„Wer ich bin?“, fragte das Mädchen zurück und legt dabei das Kinn in ihre Hand, so als müsse sie über etwas sehr Wichtiges sehr gründlich nachdenken. „Hm. Für diese Antwort ist es noch zu früh!“, sagte sie wohl mehr an sich selbst als an Ruby gerichtet. Sie warf die Arme erst in die Luft und stemmte dann die Hände in ihre Seite. Mit einem glockenhellem Lachen fuhr sie fort: „Du musst dich zunächst mit meinem Namen begnügen. Ich heiße Violetta. Das bedeutet ‚die Liebliche’“.

Auch der Name klang seltsam fremd in Rubys Ohren, obwohl sie zugeben musste, dass er ganz trefflich zu diesem Mädchen passte. „Und wo kommst du her?“, wollte Ruby weiter wissen.

„Noch so eine schwierige Frage! Frag mich doch mal etwas Leichtes. Zum Beispiel, wie ich Deinem Blauling helfen kann! „Ja ja“, wollte Ruby gerade zu einer Antwort ansetzen, aber da wurde sie von Violetta schon sanft zur Seite geschoben. Sie trat an den Gasbetonstein heran und berührte den Schmetterling mit ihrem Zeigefinger, genauso wie Ruby es zuvor getan hatte. Und so als hätte er nur ein Päuschen auf dem Stein gemacht, klappte er seine Flügel auf und flatterte davon.

Verblüfft verfolgte Ruby seinen Flug mit den Augen. Etwas erstaunt murmelte sie: „Er hat also doch nur geschlafen! Schade, dass er jetzt weg ist. Ich wollte doch für ihn sorgen.“

Violetta setzte sich auf den Gasbetonstein und schlug die Beine übereinander wie eine erwachsene Frau. „Er liebt den Wind, weißt Du! Aber wenn Du für jemanden sorgen möchtest, dann kümmere Dich doch um mich!?“, sagte Violetta. „Ich bin einsam und suche eine Freundin.“ Ruby stutzte und sah dieses seltsame Mädchen an. Wie es da so auf dem Gasbetonstein saß, auf dem zuvor der Schmetterling gelegen hatte. Und wie sie mit einer Hand ihr Amulette wie eine Hundeleine festhielt, wirkte sie auch unendlich verloren und traurig. Ruby hätte gern ein Papier und Stifte genommen. Sie wollte gern dieses Eigentümliche in einem Bild festhalten.

„Gut. Dann warte hier! Und beweg dich nicht!“, sagte sie zu Violetta. Ruby lief in den Bungalow und holte ihren Aquarellfarbkasten. Sie setzte sich auf den Gasbetonstein gegenüber von Violetta. Sie hatte sich wirklich nicht bewegt. „Ich werde dich jetzt malen.“, sagte Ruby jedes Wort betonend: „Dafür musst du gaaaanz stillsitzen! Du darfst dich nicht bewegen!“. – „Ist gut.“, sagte Violetta und regte sich nicht. Ruby holte Wasser, mischte ein paar Farben, Violett und Nepalgelb. Und dann ließ sie Farbe und Wasser auf dem Papier tun, was sie wollten. Erst als sie fertig war, sah sie sich das Ergebnis an und war zufrieden. Eine zarte Figur mit der Anmutung von Engelsflügeln war entstanden. Sehr passend, fand Ruby. „Darf ich es sehen?“, fragte Violetta. Ruby drehte das kleine Quadrat um und zeigte ihr, was sie gemalt hatte. „Oh.“, sagte Violetta. Vorsichtig nahm sie das Bild in ihre Hände und betrachtete es. „Ja, das bin wirklich ich! Wie kannst du das nur sehen?“ Ein Lächeln breitete sich auf Violettas Gesicht aus. „Das ist wirklich ganz wunderbar! Ich wusste, dass du eine hervorragende Freundin sein würdest!“ Mit einem Mal war all ihre quirlige Lebendigkeit zurück. Sie sprang auf den Gasbetonstein breitete die Arme aus und rief Ruby zu: „Das wird fabelhaft, famos und fantastisch! Wir werden sooo viel Spaß zusammen haben! Du wirst sehen! Ich werde dir alles zeigen und dich überall mit hinnehmen! Ins Kleinsteklein und auch ins Riesengroß! Wir bereisen jeden Ort und jede Zeit!“ Violetta sprang von einem Stein zum anderen und begleitete ihre Worte mit ausladenden Gesten. „Ich wusste, dass mein Vater sich geirrt hat! Weißt du, eigentlich wollte er dich schon mitnehmen. Aber ich habe mich direkt in dich verliebt!“ Ruby stutze: „Wie meinst du das? Warum wollte dein Vater mich mitnehmen? Und wohin? Wo ist er denn?“. – „Bitte erschrick nicht. Ich will es dir sagen. Aber du musst mir versprechen, dass du nicht böse auf mich sein wirst! Ok?“ – „Gut.“, sagte Ruby.

Vi: „Also: Mein Vater ist der Tod. Und eigentlich hättest du heute sterben müssen. Aber ich habe ihn ausgetrickst und ihm statt deiner die Seele des Baulings gegeben.“

Ru: „Oh, dann lebt mein Blauling doch nicht mehr?“.

Vi: „Verzeih mir.“

Ru: „Aber wird dein Vater das nicht bemerken?“

Vi: „Ja, wahrscheinlich schon. Aber er kann das jetzt nicht mehr ändern.“

Ru: „Wird er nicht böse auf dich sein?“

Vi: „Nein, im Grunde kann er das gar nicht. Böse sein. Und ich bin einsam. Ich möchte auch mal jemanden zum Spielen haben!“.

Ruby war verwundert. Hatte sie Violetta richtig verstanden? Konnte der Tod denn eine Tochter haben?! Das war doch verrückt. Aber vielleicht schon möglich. Sie erinnerte sich an einen Kupferstich in dem Märchenbuch, aus dem ihre Omi ihr immer vorlas. Dort war der Tod abgebildet als ein hagerer großer Mann, dessen Gesicht man nicht sehen konnte. Er trug eine lange Kutte mit Kapuze über dem Kopf. Und in der Hand hielt er eine Sense. Aber wenn das Violettas Vater sein sollte … Ruby schauderte. Violetta schien doch eigentlich sehr lebendig! Aber, das musste Ruby zugeben, ein bisschen seltsam war sie schon auch.

Ruby kam zu dem Schluss, das Violetta das wohl anders meinen musste und sie es nur nicht ganz verstand. Und im Grunde war auch Ruby einsam. Sie freute sich, erwählt worden zu sein und nun eine Spielgefährtin zu haben. „Möchtest du auch ein Bild von mir malen?“, fragte Ruby Violetta.

tbc


Schlangen im Grasmeer

1

Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich niemals zu Dir sagen, dass Du gehen sollst. Ich würde Dir sagen, wie sehr ich Dich liebe und dass ich Dich brauche.

Ich träume, wir wären Kinder. Frei von allen Pflichten spielen wir unbekümmert am Strand. Rennen in die Wellen. Trocknen Quallen im Sand und freuen uns über die Muster. Stromern abends durch die sonnengewärmten Gassen; unsere nackten Füße auf dem warmen Stein. Essen Fisch und Pommes. Schlürfen Limonade. Und niemand fragt uns, wohin wir wollen. Und niemand sagt uns, was wir tun sollen. Wir lachen laufen lieben.

Es ist spät. Ich sollte schlafen. Aber ich liege wach und vermisse Dich. Mein Herz tut weh. Mein Bauch ist eine aufgewühlte Grube. Ich höre alte Sprachnachrichten und frage mich: Was ist aus dem Mann geworden, der fröhlich klingt und sagt: „Ich freue mich auf Dich! Ich küsse Dich!“ Er wartet ungeduldig auf meinen Besuch und schickt nun schon die dritte Nachricht: „Azizam, komm mal zu mir, schnell. Bitte, bitte!“ Ich schmunzle und denke vergnügt: So wird das Leben mit Dir sein! Aber so ist es nur für einen kurzen Moment. Doch für diesen kurzen Moment schien die Welt Dir zu gehören und Glück möglich.

Ich träume, ich erschaffe ein Kunstwerk. Ich wünsche mir, dass es Dich berührt. Du siehst es an. Ich sage Dir, dass es einen Käufer gibt. Zwanzigtausend Euro möchte er mir dafür geben. „Verkauf es nicht! Schenk es mir.“, sagst Du. Ich freue mich. Du möchtest etwas Wertvolles. Von mir. Für Dich. Für Dich allein! Niemandem würde ich verkaufen, was Du als Geschenk begehrst. Doch es ist nur ein Traum. Du sehnst Dich nicht nach meinen Geschenken.

Ich will mich ablenken. Ich treffe mich mit anderen Männern. Ich rede mir ein, Aufmerksamkeit wird mich trösten. Doch bei jedem Treffen fällt mir nur auf, wie wenig sie Dir ähneln. Wie anders sie sind, wie wenig sie mich berühren, wie leer mein Herz bleibt. Nichts und niemand kann an Deine Stelle treten. Natürlich nicht. Ich sehne mich nach Deiner Stimme, nach Deinen Armen und nach Deiner Liebe.

Ich träume, etwas in Deinem Leben verändert sich. Du spürst keinen Druck mehr auf Deiner Brust, wenn wir uns nah sind. Du genießt meine Nähe, fühlst Dich geliebt und kannst es ertragen. Wünschst es Dir sogar, dass ich dich liebe. Du fühlst Dich leicht und frei mit mir. Du fühlst Dich lebendig. Du tollst über die Wiese wie ein junger Löwe und rufst nach mir, Deiner Gefährtin. Gemeinsam pirschen wir durch’s Grasmeer und erlegen Schlangen.

Du küsst mich so, wie ich es am liebsten mag. „Ich liebe das so sehr“, rufe ich Dir lächelnd zu. Du schaust mich an. „Und ich liebe Dich so sehr“, flüstere ich. Du siehst mir in die Augen. Bleibst stumm. Kein Wort von Dir. Nur ein kleines Lächeln. Meine Augen füllen sich mit Tränen. „Nicht traurig sein“, sagst Du.

Ich weiß, dass Du mich auch liebst. Du sagst es nicht. Doch Deine kleinen Gesten machen es mir leicht, zu hoffen. Ich habe wohl bemerkt, wie ordentlich Du meine Kleidung zusammen gelegt, wie sorgam Du das Bett gemacht hast. Ich verstehe Dein Schweigen, das Du mit Bemerkungen über meine Einrichtung zu füllen suchst. Ich begreife, dass Du mir nicht mehr geben kannst.

Aber ich will es nicht wahrhaben.

2

Ich habe beschlossen, einfach zu ignorieren, dass Du nicht mehr mit mir zusammen sein möchtest. Es sind sowieso nur bedeutungslose Worte – bedeutungslos gemessen an Deinen Taten. Ich werde Dich ab jetzt einfach regelmäßig besuchen, einfach wieder den Platz in Deinem Leben einnehmen, den Du sowieso für mich freihältst. Ich werde einfach da sein. Ich werde einfach eine ganz und gar verlässliche Konstante in Deinem Leben sein. Damit werde ich Dich zähmen. So, wie der Fuchs es den kleinen Prinzen lehrte. Und solange, wie Du es zulässt. Solange, wie Du mir Deine Türe öffnest und Dich freust, mich zu sehen.

Weißt Du, manchmal denke ich: Wir haben doch nur dieses eine Leben. Und wir leben es schon eine Weile. Du schon etwas länger als ich. Obwohl das nichts heißt. Und selbst, wenn wir noch Fünfzig Jahre haben – bald wird es vorbei sein. Lass uns doch alles auf eine Karte setzen. Was haben wir zu verlieren? Wenn es sich nicht lohnt, für die Liebe etwas zu riskieren, was bleibt dann noch? Wozu soll dieses Leben dann gut sein? Und was soll ich mit der Liebe, wenn es nicht Deine Liebe ist? Mit Dir möchte ich alt werden. Dir gehört mein Herz.

Dir gehört mein Herz.

Ich bin allein zu Haus, Du hast keine Zeit. Ich möchte vorbeikommen, um einen Kaffee mit Dir zu trinken, um ein bisschen Zeit mit Dir zu verbringen. Aber Du hast keine Zeit. Du hast viel zu tun und später noch einen Termin. Ich bin allein zu Haus und betrinke mich. Checke alle fünf Minuten WhatsApp und träume, Du stündest einfach so vor meiner Tür. Du würdest klingeln. Ich würde Dir öffnen und Dich einfach küssen. Aber alles bleibt still.

Wo ist mein Prinz? Warum hat dieses Märchen kein Happy End? Ich bin allein zu Haus und würde jetzt so gern ein Tier mit Fell streicheln. Oder die zart-fragilen Füßchen eines kleinen Kakadus auf meinem Zeigefinger spüren.

Ich träume, Du sitzt auf Deinem Sofa. Deine Cousine ist zu Besuch. Du erzählst von mir. Von uns. Dass es vorbei ist. „Schade“, sagt sie. „Warum?“, fragt sie. Doch Du bleibst stumm. Dann stehst Du auf und gehst in die Küche um einen Tee zu kochen. Ich schrecke hoch und verbringe den ganzen Tag in dem Gefühl, dass ich mich irre. Dass Du mich doch nicht liebst.

Ich versuche zu träumen, Du sagst: „Ich liebe Dich“ und meinst damit mich. Ich brauche Dich! Verlass mich nicht.

Mein Herz ist zwar bei Dir. Aber es ist ja doch nicht glücklich da. Warum hält es nur an Dir fest? Dummes Herz! Nun lass doch endlich los.

3

Ich habe ein Date und bekomme: eine Blume, vier Stunden ungeteilte Aufmerksamkeit und viele Fragen, die echtes Interesse bekunden. Abends liege ich stundenlang wach und versuche zu ergründen, wo mein Interesse sich versteckt hat.

Ich habe ein Date und bekomme: zwei Stunden Lachen und Scherzen, einen charmanten Akzent und einen Sack voller Komplimente. Abends tanze ich im Wohnzimmer zu meinen Lieblingsliedern und versuche mir vorzustellen, mit einem anderen zu tanzen als Dir. Aber wer tanzt schon so wie Du?

Ich habe noch ein Date und fühle mich müde. Wieder Stunden voller interessantem Kennenlernen und auf der anderen Seite des Tisches will schon jemand die Verträge klarmachen. Aber mein Herz will nicht. Es ist taub. Es hat nichts übrig für Blumen oder Komplimente – nichts übrig. Für niemanden. Außer für Dich. Abends liege ich in meinem Bett und denke an Deine weichen Lippen.

Ich wollte eine treue Konstante in Deinem Leben sein. Aber ich schaffe es nicht. Ich schaffe es nicht, immer und immer wieder auf Dich zuzugehen, immer und immer wieder nur ein Hoffnungshäppchen zu bekommen und dann endlos lang zu warten. Immer und immer wieder gespannt in die Stille zu lauschen. Zu hören, wie die Sekunden vertropfen und zu Wochen gerinnen. Auf tausend Wegen versuche ich, Dich zu erreichen. Aber Du bleibst aktions- und bekenntnislos. Keine Nachricht. Kein Wunsch. Kein Sehnen. Kein Nachmittag voll Lachen und Scherzen. Keine Aufmerksamkeit. Keine Bitte. Es gibt keinen Gefallen, den ich Dir tun könnte, keine Frage, die Du an mich hast und kein Geschenk, das Du Dir von mir wünschst. Es gibt nichts, was Du von mir haben möchtest. Du brauchst nichts von mir, aber ich alles von Dir. Damit muss ich leben. Und Du auch.

Nur eine Geschichte, die nie beginnt, kann niemals enden.

Liebeskummer ist sozialer Schmerz. Es reagieren die gleichen Hirnregionen wie bei einem Beinbruch. Ich zähle die Tage, die vergangen sind, seitdem ich mich das letzte Mal bei Dir gemeldet habe. Ich frage mich, wie lange es wohl dauern wird, bis Du Dich meldest. Jedes Mal nehme ich mir von Neuem vor, Dir nicht zu schreiben. Sondern zu warten, bis Du die Initiative ergreifst. Einmal ist es mir gelungen. Es hat etwas über drei Wochen gedauert, dann schicktest Du mir ein „Wie geht es Dir?“. Etwas in mir vermutet, dass Du Dich jetzt nicht mehr melden wirst.

4

Die Momente mit Dir, kostbar und rar – Ich bewahre sie auf in einer goldenen Schatulle auf himmelblauem Samt. Da liegen sie gebettet, diese kostbaren Momente. Wie dieser: Ich komme zur Party. Wir haben uns lange nicht gesehen. Du warst verreist. Du begrüßt mich schon von Weitem. Kommst mir entgegen. Wie immer mit Deinem strahlenden Lächeln. Aber dieses Mal gibt es keine Umarmung. Dieses Mal küsst Du mich! Auf den Mund. Jeder kann es sehen. „Ich habe Dich vermisst“, sagst Du. Und ich bin glücklich, weil Du jeden sehen lässt, dass wir zusammen gehören.

Ich habe ein Date und freue mich darauf. Das Leben ist leicht und liebevoll mit diesem neuen Mann. Seine vielen kleinen Gesten, mich zu erobern, mich in Zuneigung zu baden, berühren mich. Ich genieße es. Genieße, wie er mich anhimmelt, mich mit seinen Blicken auszieht, keine Scheu hat, mir sein Begehren zu zeigen und riskiert ein „Nein“ zu bekommen. Ich staune, wie er erkennt, was ich brauche. Wie er mich in den Arm nimmt und tröstet, obwohl ich versuche stark zu sein und nichts zu brauchen. Ich ahne, wie eine Beziehung auch sein könnte.

Vielleicht lässt Du jetzt endlich los, Du starrsinniges Herz? Siehst Du nicht, dass es woanders auch schön sein kann? Etwas in mir fürchtet, dass ich nicht mehr lernen werde, mich lieben zu lassen.

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Abends lieg ich trotzdem wach und finde keinen Schlaf. Und dann meldest Du Dich doch. Ist es Zufall, dass Du Dich gerade jetzt meldest? Oder hast Du gespürt, dass ich beginne Dich loszulassen? Wir texten hin und her. Aber es gibt nicht viel zu sagen, außer Oberflächlichkeiten. Und als Du es doch wagst, all das andere anzudeuten, als ich denke, jetzt werden wir über die wichtigen Dinge sprechen, brichst Du bald wieder ab und sagst, ich solle meine Zeit nicht mit Dir verschwenden.

Ich habe es satt, dass Du die Rücksicht auf meine Gefühle vorschiebst. Als ob das irgendetwas leichter machte! Und warum überhaupt, entscheidest Du, womit ich meine Zeit verschwende!? Sprich doch einmal für Dich! Sag mir: Ich will nicht mehr mit Dir schlafen. Ich will Dich nicht mehr sehen! Aber Du sagst nur, ich bräuchte einen Mann, der nicht kaputt ist in der Seele. Also gut. Wie Du willst: Dann nehme ich endlich meinen Hut und gehe! Es klingelt an meiner Tür. Ich öffne und sehe in Dein Gesicht. Du bittest mich, mit Dir an den See zu fahren.

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Ich zerstöre ein Bild, das ich gemalt habe. Ich zerreiße alles, was dazu beitrug, dass ein Teil von Dir gefangen, verschüttet, verstümmelt ist. Zerfetze alle und jeden, der mitgebaut hat an Deinem Gefängnis. All jene, die dafür sorgten, dass dieser Junge, der Du gewesen bist, nicht frei sein konnte. Ich zertrümmere jeden und alle, die ihm all dieses Leid antaten mit ihren menschenverachtenden Gesetzen, mit ihrem als Gottesfurcht getarnten Sadismus, mit ihrer Gewalt, ihrem Scheiß-Krieg, ihren Bomben, ihrer Zerstörung … mit ihren verdammten TRAUBEN, die sie ihm in den Mund stopften, als falschen Trost, um seine Tränen zu übertünchen und sich selbst zu beruhigen. Ich radiere alles aus, was Dich glauben machte, Dein Leben sei nicht viel wert.

Ich möchte zurückreisen in der Zeit und diesen Jungen retten. Möchte ihn abfangen auf seinem Weg in die zerbombte Schule; möchte seine Hand nehmen und ihn einfach mit zu mir nach Hause nehmen. In ein sicheres, ein freies, ein liebevolles Zuhause. Möchte all seine Wunden wegküssen bis sie nur noch Narben sind. Alle Narben wegküssen bis sie nur noch böse Erinnerungen sind. Alle bösen Erinnerungen wegküssen bis Platz ist für das Schöne, das Wahre und das Gute.

Ich will seine Tage füllen mit Lachen und Scherzen und dabei zusehen, wie er abends erschöpft und zufrieden einschläft. Ich will sehen, wie er morgens mit dem Gedanken an Bauklötze und Süßigkeiten erwacht – weil die Welt ihm gehört, weil sie gut ist und es nichts zu befürchten gibt, außer, dass die Süßigkeiten aufgegessen sind.

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Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich niemals zu Dir sagen, dass Du gehen sollst. Ich würde Dir sagen, dass ich Dich liebe und wie sehr ich Dich brauche.